Verantwortlich: Dr. Malte Fuhrmann
Laufzeit: 2010 ̶ 2013
Ungeachtet der Entwicklung der europäisch-türkischen Beziehungen hat die ausführliche Beschäftigung mit der Stellung der Türkei im europäischen Raum die Basis gelegt hat zu einer intensiven Grundlagenforschung, die die Vielschichtigkeit, die longue durée und die Wechselseitigkeit der Transferprozesse in den Vordergrund stellt. Dieser zufolge ist es, unabhängig von politischen Konjunkturen, keine Frage, ob die Türkei zu Europa zählt oder ob sie mit Europa in Verbindung steht oder stehen sollte. Vielmehr steht im Vordergrund, dass die Türkei in vielseitigen Beziehungen zu den Ländern westlich und nördlich von ihr steht, die angemessen analysiert und zur Kenntnis genommen werden müssen. Diese Grundlagenforschung zum türkisch-europäischen Verhältnis ist allerdings polyzentrisch und je nach Disziplin und Wissenschaftssprache unterschiedlich vernetzt. Aufgabe des Forschungsfelds europäisch-türkische Beziehungen in wechselseitiger und langzeitiger Perspektive war es, diese verschiedenen Unterfelder zusammenzuführen und so zu einem tieferen Verständnis der Beziehungen zu gelangen.
Projekte
Publikationsprojekt: Bursa und die Deutschen in Geschichte und Gegenwart
Verantwortlich: Prof. Dr. Raoul Motika & Dr. Malte Fuhrmann
Laufzeit: 2011 – 2015
Die viertgrößte Stadt der Türkei, Bursa, fand bisher kaum Beachtung in der Erforschung der Geschichte der türkisch-deutschen Beziehungen. Um dieses Defizit zu überwinden, ist auf Anregung der Stadtverwaltung Bursa und finanziert durch sie, ein breites Kooperationsprojekt unter Federführung des Orient-Instituts Istanbul ins Leben gerufen worden. Neben verschiedenen Einrichtungen in Bursa erfreut sich das Projekt der aktiven Unterstützung durch das Deutsche Archäologische Institut Istanbul, das Goethe-Institut und das deutsche Generalkonsulat Istanbul. In dem von Dr. Malte Fuhrmann und Prof. Dr. Raoul Motika geleiteten Projekt haben zehn in der Türkei, Deutschland und in Frankreich aktive Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Beiträge zu verschiedenen Aspekten von Bursas Beziehungen zu Deutschland und den Deutschen erarbeitet. Die Ergebnisse des Projekts liegen inzwischen in Buchform vor.
Die Wissenschaftsemigration in die Türkei als kultureller Übersetzungsprozess.
Traugott Fuchs: Ein Philologe und Künstler an den „cross-roads“ von Wissenschaft und Politik
Verantwortlich: Dr. Yiğit Topkaya
Laufzeit: 2014 – 2015
Unterstützt von: Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
Das Post-Doc-Projekt von Yiğit Topkaya behandelte im Rahmen einer politischen Kulturgeschichte die Forschung zur deutschen Wissenschaftsemigration nach 1933. Untersucht werden strukturelle Auswirkungen der Emigration deutschsprachiger Wissenschaftler in die Türkei auf die dortigen Universitäts- und Gesellschaftsreformen. Im Fokus stand dabei die Forschungs- und Lehrtätigkeit des akademischen Milieus um die Romanisten Leo Spitzer, Erich Auerbach und Traugott Fuchs. In Anlehnung an das Konzept von „Kultur als Übersetzung“ wurde der historische Wirkungszusammenhang zwischen den Wissenschaftsmigranten und der türkischen Bildungspolitik vor dem Hintergrund einer transnationalen Wissenschaftsgeschichte als ein Prozess der „cross-cultural translation“ interpretiert. Ausgewertet wurden hierfür die umfangreichen und bislang noch kaum erforschten Archivbestände des Nachlasses von Traugott Fuchs. Im Rahmen des Projekts veranstaltetete das OII gemeinsam mit der Bogazici Universität die von Dr. Yigit Topkaya, Prof. Dr. Özlem Ögüt Yazicioglu und Prof. Dr. Raoul Motika organisierte internationale Konferenz „Mimesis in Transl/National Turn“ (Istanbul,17.–18. Dezember 2015). Ein erweiterter Konferenzband befindet sich in Vorbereitung.
Internationale Wissenszirkulation und ihre Hürden: Fallstricke, Missverständnisse, Verzögerungen, Diskontinuitäten und Misserfolge in der Einführung theoretischer Werke und der Disziplinbildung in der Türkei am Beispiel Max Webers und Sigmund Freuds
Verantwortlich: Dr. Alexandre Toumarkine
Laufzeit: 2012
Dieses Projekt ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit der Rezeption der Ideen und Werke westlicher Denker in der Türkei sowie der Disziplinenbildung auf der Basis von Wissensrezeption. In der Türkei wurde die Wissensrezeption aus dem Westen überwiegend durch das Paradigma der Verwestlichung geprägt und durch die Notwendigkeit der Schaffung „nationalen Wissens“ bedingt. Gleichzeitig zeigt die Rezeption Max Webers Interesse an eurozentristischen Vorstellungen des Orients als auch eine kritische Haltung zu diesen Konzepten. Dennoch ist die Einführung von Ideen nicht auf die Spannung zwischen Okzidentalismus und Nationalismus beschränkt. Die Internalisierung von Wissen ist ein komplexer und oft unvollendeter, jedoch notwendiger Prozess, durch den diese Spannung aufgelöst werden soll. Doch verdeckt der Blick auf die Ergebnisse erfolgreicher intellektueller Transferprozesse diese Spannung und die dem Prozess inhärente Komplexität. Ferner unterliegt die Rezeption auch den disziplinären Strukturen der türkischen Bildungslandschaft und steht in Konkurrenz zu zeitgleichen alternativen Ansätzen, im Falle Webers speziell den Ideen Durkheims, denen in der Türkei eine prägende Rolle zukam.
Wie Pierre Bourdieu bemerkte, sind die Kontexte von Werken nicht Teil ihrer Zirkulation, so sie nationale Grenzen überschreiten. Im türkischen Fall kann beispielsweise beobachtet werden, dass bedeutende Wissenschaftler in anderen Disziplinen rezipiert wurden, als dies im Ausgangskontext der Fall war, sichtbar in der frühen Rezeption Sigmund Freuds als Philosoph und Pädagoge und nicht als Psychiater, sowie der Max Webers als politischer und historischer Ökonom und nicht als Soziologe. Daher sollte im Projekt die Rolle der Mediatoren des Transferprozesses bezüglich ihrer intellektuellen Ressourcen sowie ihrer Positionierung in der lokalen Wissenschaftslandschaft untersucht werden. Aus diesen Gründen konzentrierte sich dieses Projekt auf Fälle problematischer Transfers, insbesondere auf die Rezeption Freuds und Webers, deren erfolgreiche Appropriation sich erst um Dekaden verzögert vollzog. Ergebnisse des Projektes wurden in einem Artikel und einem Vortrag veröffentlicht und zur Diskussion gestellt.
Von Wissensübertragung zu neuen wissenschaftlichen Perspektiven: Die Transformation orientalistischer und philologischer Forschung an der Ankaraer Fakultät für Sprachen, Geschichte und Geographie zwischen den Jahren 1935 und 1948
Verantwortlich: Till Luge, M.A.
Laufzeit: 2013 – 2015
Die wissenschaftlichen Arbeiten zu deutschen Exilwissenschaftlern in der Türkei beschäftigen sich großenteils mit dem Beitrag der Exilanten zur türkischen Wissenschaft sowie ihrer persönlichen und familiären Notlage. Dieses Forschungsprojekt hingegen richtet den Blick auf die Beiträge dieser Forscher zu ihren jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen. Hierbei soll eruiert werden, wie sich die Perspektiven der Exilanten während ihres Aufenthalts in der Türkei verändert haben. Anhand des Beispiels der Fakultät für Sprachen, Geschichte und Geographie in Ankara wurde dargestellt, in wieweit die neuartige interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Exilanten aber auch mit türkischen Kollegen, der Mangel an Quellen und Forschungsmöglichkeiten in den bisher bearbeiteten Feldern, die Diskriminierung und Verfolgung in Deutschland und der Status als Flüchtling in der Türkei, sowie die persönliche und akademische Nähe zu humanistischen und sozialistischen türkischen Akademikern die Arbeit der deutschen Exilanten geprägt hat. Die These dieses Projektes ist, dass vielfältige Marginalisierungen das Interesse an der Behandlung von Themen am Rande oder jenseits der eigenen Disziplinen erhöhte und so zu neuen Perspektiven innerhalb der orientalistischen und philologischen Fächer führte.
Der europäische Habitus in der osmanischen Stadt – Stadtplanung, kulturelle Praktiken und Konflikt im 19. und 21. Jahrhundert
Verantwortlich: Dr. Malte Fuhrmann
Laufzeit: 2010 – 2013
Das Projekt untersuchte den Prozess der sogenannten Europäisierung des Osmanischen Reichs in der Periode 1838 ̶ 1908. Diese ist in der bisherigen Forschung vornehmlich anhand der Ideen- und Politikgeschichte sowie des (außen-)wirtschaftlichen oder soziostrukturellen Wandels untersucht worden. Im Unterschied dazu soll in diesem Projekt der Schwerpunkt auf die kulturelle Ebene gelegt werden, um damit bisher kaum berücksichtigte Aspekte sowie die Akteursebene verstärkt sichtbar zu machen.
Ausgewählte Publikationen
Fuhrmann, Malte; Motika, Raoul (Hrsg.). Tarihte Bursa ve Almanlar. Bursa und die Deutschen. Bursa: Bursa Kültür A.Ş. 2016.
Wittmann, Richard. „Papierblumen, Seide und Thermen am Fuße des Olymps. Bursa in deutschsprachigen Reiseberichten von der Renaissance bis zur Romantik“. In: Malte Fuhrmann & Raoul Motika (Hrsg.): Deutsche in Bursa. Bursa: Belediye Yayınları, 2016. 42-67.
Fuhrmann, Malte. „Die Bagdadbahn“. Jürgen Zimmerer (Hrsg.). Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt: Campus 2013. 190-207.
—-. „‘Our New and Great Cultural Missions in the Orient’: German Faith-Based and Secular Missionary Activities in the late Ottoman Empire“. Haldun Gülalp, Günter Seufert, (Hrsg.). Germany and Turkey in Interaction. Religious Identities and Institutions. London: Routledge 2013. 47-60.
—-. „Anti-, Non-, or Post-Saidian?: The Challenge of Discussing German Orientalism“. Rezensionsessay zu Marchand, Susanne. German Orientalism in the Age of Empire. Cambridge: University Press 2009.
—-. „Deutschlands Abenteuer im Orient. Eine Geschichte semi-kolonialer Entanglements“. Hatice Bayraktar, Ramazan Çalik, Claus Schönig (Hrsg.). Türkisch-Deutsche Beziehungen. Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart. Berlin: Klaus Schwarz Verlag 2012. 10-33.
—-. „Die Mekkabahn/The Mecca Railway“. Joachim Gierlichs (Hrsg.). Roads of Arabia (Ausstellungskatalog Museum für Islamische Kunst). Berlin: Wasmuth 2012. 288-297.
—-. „Germany’s Adventures in the Orient: A History of Ambivalent Semi-Colonial Entanglements“. Volker Langbehn, Mohammad Salama (Hrsg.). Colonial (Dis)-Continuities: Race, Holocaust, and Postwar Germany. New York: Columbia University Press 2011. 123-145.
—-. „‚I would rather be in the Orient.’ European Lower Class Immigrants into the Ottoman Lands“. Ulrike Freitag (Hrsg.). The City in the Ottoman Empire: Migration and the Making of Urban Modernity. London: Routledge 2011. 228-241.
—-. „Peripherie und Wiege der Zivilisation. Die schwierige Verortung des ‚griechischen Orients’ im Europadiskurs des späten 19. Jahrhunderts“. Maria Oikonomou, Maria Stassinopoulou, Ioannis Zelepos (Hrsg.). Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Peter Lang 2011. 45-56.
—-, Freitag, Ulrike; Lafi, Nora; Riedler, Florian (Hrsg). The City in the Ottoman Empire: Migration and the Making of Urban Modernity. London: Routledge 2011.
—-. „Vagrants, Prostitutes, and Bosnians: Making and Unmaking European Supremacy in Ottoman Southeast Europe“. Nathalie Clayer, Hannes Grandits, Robert Pichler (Hrsg.). Conflicting Loyalties: Social (Dis-)Integration and National Turn in the Late and Post-Ottoman Balkan Societies (1839–1914). London: I.B. Tauris 2011. 15-45.
Veranstaltungen
Vortragsreihe am Orient-Institut Istanbul: Reclaiming Istanbul: Public Spaces in Past and Present
Verantwortlich: Dr. Malte Fuhrmann
Veranstaltungsdatum: Herbst/ Winter 2012 – 2013
In dieser Vortragsreihe widmete sich das Orient-Institut Istanbul dem öffentlichen Raum in Istanbul in Vergangenheit und Gegenwart. Experten aus verschiedenen Disziplinen untersuchten verschiedene Formen und Plätze des öffentlichen Raums, die in bestimmten Perioden eine wichtige soziale, kulturelle und symbolische Bedeutung für die Stadt entwickelten.
Geisteswissenschaftler/-innen, Stipendiat/-innen
Der Einfluss der deutschen Wissenschaftsemigration in die Türkei auf die Entwicklung der türkischen Wissenschaftslandschaft
Verantwortlich: Dr. Yiğit Topkaya (Universität Basel, Translation Studies/Romanistik)
Unterstützt von: SNF (1. Juli 2014 – 1. Mai 2015)