Gastwissenschaftler*innen und Promotionsstipendiat*innen

Gastwissenschaftler*innen

Prof. Dr. Kerem Öktem (Ca’ Foscari Universität von Venedig, Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen)

Concrete Empire: Die kulturell-religiöse Außenpolitik der Türkei in Südosteuropa

Bild: Bau der Kampus-Moschee der International University of Sarajevo im Stadtteil Ilidža (Photo des Autors, April 2010)

Die Restaurierung osmanischer Denkmäler und die Errichtung repräsentativer Großmoscheen, oft im historisierenden osmanisch-seldschukischen Stil und in beeindruckenden Dimensionen, ist seit geraumer Zeit ein zentraler Bestandteil der kulturell-religiösen Außenpolitik der Türkei im globalen Maßstab. In Südosteuropa werden derzeit türkische Neubauprojekte repräsentativer Moscheen in Albanien, Nordmazedonien, im Kosovo und auf Zypern realisiert. Diese Projekte stehen nicht nur im Wettbewerb mit Kirchenneubauten katholischer und orthodoxer Glaubensgruppen, sondern gelegentlich auch mit Vorhaben anderer islamischer Länder und Organisationen. Das Forschungsprojekt „Concrete Empire“ untersucht die Umsetzung und Rezeption dieser neueren türkischen Außenpolitik auf dem Balkan, wobei der Fokus besonders auf dem Bau und der Restaurierung religiöser Infrastrukturen liegt.

Im Rahmen von „Concrete Empire“ –der englische Begriff „concrete“ steht hier sowohl für den Baustoff Beton, der für diese Großvorhaben massenhaft verbaut wird, als auch für „konkret“ im Sinne einer „Vergegenständlichung imperialer Ideen“– setze ich mich mit den Akteuren dieser Außenpolitik und ihren Interpretationsmustern in Bezug auf ihre religiösen Herrschaftsarchitekturen auseinander. Die zentrale Frage lautet, inwiefern die Präsenz repräsentativer Moscheen im osmanisch-seldschukischen Stil Bedeutungszusammenhänge zwischen der Türkei und dem Balkan sowie zwischen der post-sozialistischen Gegenwart und der osmanischen Vergangenheit herstellt, und somit den den Balkanraum für die Akteure der türkischen Außenpolitik lesbarer macht. Dabei interessiert mich besonders, wie emotionale Raum-Zeit-Kontinuitäten entstehen, die zu einer Verwischung real existierender Landes- und Kontextgrenzen in der Wahrnehmung besonders der türkischen außenpolitischen Akteure führen. Im Kontext der Debatten um die Türkei als „neo-osmanische“ bzw. „neo-imperiale“ Macht interessiere ich mich auch für die Rezeption dieser außenpolitischen Perspektive in den oben genannten Ländern. Dabei steht die Frage im Raum, ob und unter welchen Akteuren diese Außenpolitik Resonanz findet und wie sie bestehende Konfliktlinien und Ausgrenzungserfahrungen, besonders in den muslimischen Gemeinden der Region, beeinflusst. Abschließend demonstriere ich anhand der Fallstudie der Balkanländer, wie die Moscheebaupolitik emblematisch geworden ist für die Transformation der türkischen Außenpolitik in eine stärker religiös orientierte und imperial ausgerichtete Form.

Dr. Sena Hatip Dinçyürek

Die europäischen Trägerinnen des Barmherzigkeitsordens (Şefkat Nişânı), eine Studie zur Prosopographie

Porträt einer Frau mit dem Orden der Barmherzigkeit (Quelle: Edhem Eldem, İftihar ve İmtiyaz, İstanbul, 2004)

Der Orden der Barmherzigkeit (Şefkat Nişanı, der Orden der Chefakat) war der erste osmanische imperiale Orden, der 1878 von Sultan Abdülhamid II. speziell für Frauen gegründet wurde. Er wurde ursprünglich geschaffen, um die Frauen für ihre wohltätigen Arbeiten und Dienste im Osmanischen Reich zu ehren. Der allererste Orden der Barmherzigkeit wurde 1878 an die Frau des britischen Botschafters, Lady Enid Layard, verliehen, in Anerkennung für ihre Hilfsaktionen für die osmanischen Kriegsflüchtlinge. Bald darauf wurde die Verleihung dieses kaiserlichen Ordens an prominente europäische Frauen – wie auch an osmanische Frauen vor allem für karitative Dienste im Reich oder einfach als Anerkennung für ihren Status in der Gesellschaft und in diplomatischen Kreisen zu einer kaiserlichen Tradition. Selbst eine flüchtige Recherche in den osmanischen Archiven liefert uns heute Namen und Aufzeichnungen über europäische Frauen, die mit dem Şefkat Nişanı ausgezeichnet wurden. Sie stehen im Mittelpunkt dieses Projekts. Dazu gehören weibliche Angehörige des diplomatischen Korps, die in den osmanischen Ländern Dienst taten, prominente Mitglieder der europäischen Gemeinschaft, die in der Türkei lebten oder sich dort vorübergehend aufhielten, und auch solche, die keine persönliche Verbindung zum Osmanischen Reich hatten, die aber vom Sultan als Zeichen des kaiserlichen Prestiges mit einer Auszeichnung geehrt wurden. Offensichtlich spielten diese Frauen eine wichtige Rolle in den europäisch-osmanischen Beziehungen im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Ein prosopographischer Ansatz, der sich mit ihren individuellen Geschichten befasst und ihre möglicherweise bestehenden Verbindungen untereinander sowie ihre Rolle in der osmanischen, aber auch ihrer einheimischen Gesellschaft aufdeckt, kann uns daher ein Verständnis für ihren Platz in der Geschichte vermitteln. Diese ausländischen Frauen waren in gewisser Weise ein Teil der späten osmanischen Geschichte, und die Zusammenstellung ihrer kollektiven Biografie mit besonderem Augenmerk auf ihre Verleihung des Barmherzigkeitsordens soll einen Beitrag zur diplomatischen und sozialen Geschichte beider Länder leisten.

Gülay Yılmaz, Dozentin, (Akdeniz Universität, Abteilung für Geschichte)

Das Devşirme-System des Osmanischen Reiches, 1450-1650

Devşirme-Rekrutierung, Arifi, Süleymanname, Topkapı Sarayı Müzesi, H. 1517.

Das Ziel dieses Projekts ist es, eine maßgebliche wissenschaftliche Monographie über das Devşirme-System zu erstellen, ein Sklavensystem, das für die Entstehung des Osmanischen Reiches von entscheidender Bedeutung war, aber noch unzureichend verstanden wird. Jahrhundertelang erhoben die Osmanen Kinder aus der christlichen Bevölkerung des Reiches. Diese Kinder wurden zum Islam konvertiert, ausgebildet und in Türkisch unterrichtet, und schließlich in Verwaltungs- und Militärposten eingesetzt. Berichte osmanischer Historiker über die Devşirme-Institution haben sich vorwiegend auf osmanische Staatsmänner mit Devşirme-Herkunft oder auf das berühmteste „Endprodukt“ des Sklavensystems, die Janitscharen-Armee, konzentriert. Stattdessen wird das aktuelle Projekt die Aufmerksamkeit auf die imperiale Rekrutierungspolitik, ihre Verbindung mit den Herrschaftsmethoden auf dem Balkan und auf die Kinder und Jugendlichen lenken, die in diese Politik verwickelt waren. Es wird die Handlungsmöglichkeiten dieser übersehenen historischen Akteure untersuchen, die verkörperten Erfahrungen dieser Sklaverei-Institution sowohl als osmanisches Phänomen als auch als Teil zeitgenössischer globaler Zwangsarbeitssysteme analysieren. Dieses Projekt wird wenig genutzte Archivdokumente wie das einzigartige Steuerregister von 1603-4, Gehaltsregister, erzählerische Quellen sowie Miniaturen verwenden, um eine kritische Darstellung des Devşirme-Systems von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bis zu seinem Niedergang in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zu bieten.

Audrey Wozniak, M.A. (Harvard University)

Eine Disziplin für die Nation: Chöre der türkischen klassischen Musik in Geschichte und Praxis

Cumhurbaşkanlığı Klasik Türk Müziği Korosu (Chor für Klassische Türkische Musik des Präsidialamtes) Konzert, Istanbul, November 2021. Foto: Audrey Wozniak

Mein Forschungsprojekt beschäftigt sich mit einem außergewöhnlichen, aber oft übersehenen Phänomen der türkischen klassischen Musik, das Hand in Hand mit der Gründung der Republik Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahre 1923 ging: Die Entstehung von zahlreichen Chören neuen Typs in der gesamten Republik, teils im Staatsdienst teils in Amateurhand, was auch einen fundamentalen Wandel der musikalischen Gattungen und der Aufführungspraxis nach sich zog. Zentrale These in Wozniaks Forschungsprojekt ist, dass scheinbar außermusikalische soziale und politische Geschehnisse während des Niedergangs des Osmanischen Reichs und des Entstehens der Republik Türkei in den neu aufkommenden Chören der türkischen klassischen Musik ihren Niederschlag fanden. Dadurch können diese als wertvolle soziokulturelle Microkosmen gelten, in denen Ängste und Auseinandersetzungen über (persönliche und nationale) Identität in Proben- und Aufführungspraxis ausgelebt werden. Mit ethnographischer und archivbasierter Methode begibt sich das Forschungsvorhaben sowohl auf die Spuren des historischen Phänomens des Chors als Ensemblekonstellation in der türkischen klassischen Musik während des letzten Jahrhunderts als auch seiner mannigfachen aktuellen Verkörperungen in städtischen Kontexten der Türkei sowie der Diaspora. Mein Projekt ist das erste, das Chöre der türkischen klassischen Musik als Schauplätze in den Blick nimmt, in denen Auseinandersetzungen um »Türkentum« und die Besorgnis über politische, kulturelle und soziale Werte nach wie vor ausagiert werden. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, dass die Dokumentation zur kulturellen und politischen Bedeutung von Chören der türkischen klassischen Musik einen nachhaltigen nationalen und internationalen Einfluss erlangt, indem sie aufzeigt, wie eine besondere Verkörperung des türkischen Kulturerbes Bedeutung für die Staatsbürger:innen der Türkei und Türk:innen auf der ganzen Welt gewinnen konnte.

Dr. Benedikt Römer (Universität der Bundeswehr München)

Die Entwicklung von Fremd- und Selbstbildern im postosmanischen Raum: Türkische Reiseberichte aus der arabischen Welt, 1966-1978

Ausgewählte türkische Primärquellen für den arabischen Welt

Bei der Betrachtung türkisch-arabischer Beziehungen im 20. Jahrhundert verfallen akademische Beobachter:innen leicht in vereinfachende Narrative. Das konfliktreiche Erbe der spätosmanischen Ära, das in der „arabischen Revolte“ von 1916 bis 1918 gipfelte, dient häufig als maßgeblicher Bezugspunkt bei der Darstellung späterer Begegnungen der beiden Völker und liefert eine scheinbar schlüssige Erklärung für fortbestehende Spannungen. Bilder des „Anderen“ sind jedoch alles andere als unbeweglich und können sich mit Wandel des historischen Kontextes stark verändern. Dieses Projekt widmet sich Quellen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – einem Zeitraum, der in der relevanten Literatur bisher kaum in Betracht gezogen wurde – und untersucht türkisch-arabische Begegnungen jenseits der etablierten historiographischen Narrative. Durch die Betrachtung von Reiseberichten türkischer Intellektueller unterschiedlicher politischer Prägung wird herausgearbeitet, wie die jeweiligen Autoren politische und soziale Wandlungsprozesse in der arabischen Welt bewerteten und wie sie diese mit Entwicklungen in der Türkei in Bezug setzten. Von Interesse ist hierbei besonders die Frage, welche Rolle türkische Reisende dem Islam als möglicher Brücke zwischen Türken und Arabern zuschrieben und somit die spannungsreiche Vergangenheit zu überwinden zu suchten.

Promotionsstipendiat*innen

Su Hyeon Cho (Oxford University)

„Heilige und Staaten in einer Plastikschale: Ritual und Liminalität in der Provinz Hatay (Südosttürkei) nach dem Erdbeben“

Verteilung Harisa während des Festes der Himmelfahrt Mariens (Surp Asdvadzadzin) nach dem Erdbeben in Vakıflı (Photo: ismail Zubari)

Meine Doktorarbeit ist eine anthropologische Untersuchung der Frage, was Rituale in Krisenzeiten bedeuten. Im Zentrum meiner Studie steht ein „heiliger Brei“ namens harisa. Indem ich dessen Zubereitung und Verteilung in der Provinz Hatay (Südostürkei) untersuche, erforsche ich, wie eine Reihe alter und neuer Brüche sich zu symbolischen Performanzen verdichten – vor allem im Kontext des Erdbebens, das die Provinz Hatay im Februar 2023 schwer erschütterte. Das reiche rituelle Leben der Provinz Hatay ist bisher häufig als Teil des multi-ethnischen und multi-religiösen Gewebes der Region gefeiert worden. Dabei ist jedoch ein wichtiges Element dieser Riten bisher wenig beachtet worden: das Konzept der „Liminalität“. Ich richte mein Augenmerk auf diesen fehlenden Aspekt in der Erforschung des rituellen Lebens in Hatay, um zu verstehen, warum bis in die Gegenwart an diesen Ritualen festgehalten wird.

Das Kochen von harisa ist seit jeher assoziiert worden mit dem Überschreiten von Schwellen – insbesondere von Schwellen zwischen Leben und Tod, sowohl buchstäblich als auch symbolisch. Der harisa-Brei besteht aus Weizen und zerstoßenem Fleisch. Dies ist die traditionelle Nahrung, die am Aschura-Tag, dem Trauertag, an dem des Todes von Imam Hussein in der Schlacht von Kerbela gedacht wird, gegessen wird. Es ist aber auch die Speise, die zum Anlass der Himmelfahrt Mariens (Surp Asdvadzadzin) oder auch am vierzigsten Tag nach dem Tod eines Angehörigen verteilt und gegessen wird. Es gibt auch zahlreiche andere Anlässe, zu denen harisa gegessen wird, und bei allen handelt es sich um Momente des Übergangs zwischen Leben und Tod. Folglich verkörpert diese zeremonielle Speise die Themen der Wiedergeburt, der Auferstehung und des Weiterlebens (eines Individuums oder der Gemeinschaft).

Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Harisa-Speise nach dem katastrophalen Erdbeben im Februar 2023 von vielen Menschen in Hatay als Quelle körperlicher und spiritueller Nahrung an Bedeutung gewann. Während meines Forschungsaufenthalts am Orient-Institut Istanbul werde ich weiter erforschen, wie das Kochen von harisa und andere Rituale das weite Spektrum an Brüchen, Instabilitäten und Liminalitäten in der Region behandeln.

Furkan Işın (Mcgill University)

„Der osmanische Avicenna“: Kemālpaşazāde und intellektuelle Strömungen im Osmanischen Reich des sechzehnten Jahrhunderts

Âşık Çelebi, Tezkire, Millet Ktp., Ali Emiri Efendi, Tarih, nr. 772, vr.
53a. 

Das frühe sechzehnte Jahrhundert war eine entscheidende Periode in der osmanischen Geistesgeschichte, die durch die Synthese unterschiedlicher wissenschaftlicher Traditionen und die Integration neuer intellektueller Gattungen in den osmanischen Kontext geprägt war. Dieses Projekt zielt darauf ab, diese Zeit durch das Prisma eines ihrer prominentesten Gelehrten, Kemālpaşazāde (gest. 1534), zu erforschen. Die Werke des als Historiker, oberster Mufti, Theologe, Philosoph und Rechtsgelehrter berühmten Kemālpaşazāde repräsentieren eine Konvergenz verschiedener intellektueller Traditionen. Durch das Studium seiner Werke soll dieses Projekt das osmanische Geistesleben im frühen sechzehnten Jahrhundert näher beleuchten.

Kemālpaşazāde, der als „der Avicenna der Gelehrten von Rūm“ (ʿulemā-yı Rūmuñ İbn-i Sīnāsı) bezeichnet wurde, spielte eine entscheidende Rolle bei der Einführung von Avicennas (gest. 1037) Philosophie in die osmanische intellektuelle Landschaft. Dies ist seiner Auseinandersetzung mit Gelehrten aus der größeren iranischen Hochebene und den arabischsprachigen mamlukischen Ländern zu verdanken, die ihn mit neuen intellektuellen Gattungen bekannt machten. Diese Interaktion war außerdem entscheidend für die Gestaltung seines historiographischen Meisterwerks, der Tevārīḫ-i Āl-i ʿOsmān (Geschichten des Hauses ʿOsmān), in dem er turko-mongolische, islamische und persische Modelle von Königtum synthetisierte, um eine Vision osmanischer Souveränität auf Türkisch zu formulieren. Durch einen multidisziplinären Ansatz, der Textanalyse, Archivforschung und das Studium biographischer Lexika umfasst, analysiert das Projekt Kemālpaşazādes Schriften in verschiedenen Bereichen und die Durchlässigkeit zwischen ihnen. Die Forschung zielt darauf ab, eine Lücke in unserem Verständnis der osmanischen intellektuellen Entwicklungen zu schließen und durch die Erforschung der transregionalen Austauschprozesse, die die osmanische Gelehrsamkeit in dieser Zeit prägten, auch einen Beitrag zu den islamischen und persischen Studien im weiteren Sinne zu leisten.

Sophia Zervas (Harvard University)

Musik und staatliche Kulturpolitik in der Türkei des 21. Jahrhunderts

Atatürk Kültür MerkeziFotoğraf Galerisi – AKM Resmi Web Sitesi

Mein Forschungsprojekt analysiert die staatliche Kulturpolitik und das Musikleben der Türkei unter dem amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Die Eingriffe des türkischen Staates in das kulturelle Leben während des gesamten 20. Jahrhunderts sind sowohl in der türkischen als auch in der englischsprachigen Literatur allgemein gut dokumentiert. Meine Studie möchte hier eine Forschungslücke mit Bezug auf die jüngste Vergangenheit schließen. Auch wenn Präsident Erdoğan wiederholt den Mangel kultureller Hegemonie seiner Partei beklagt hat, deuten die Strömungen im Kulturbereich darauf hin, dass die AKP bedeutende Fortschritte bei der Durchsetzung ihrer Werte auf dem Feld der Kultur gemacht hat.

Ich versuche aufzuzeigen, wie das Musikleben in der Türkei die sich wandelnden Regierungsziele und -ansätze der AKP widerspiegelt. Dabei behaupte ich, dass Komplexität und Unbestimmtheit in der staatlichen Kulturpolitik, zusammen mit den verschiedenen Nuancen in den Debatten und der musikalischen Praxis türkischer Musiker, ein differenziertes Verständnis von politischen Kategorisierungen und Zugehörigkeiten erfordert.

Mit ethnographischen Methoden und Archivarbeit untersucht mein Projekt die Entwicklungen der staatlichen Kulturpolitik der letzten 20 Jahre und ihre Umsetzung durch das Ministerium für Kultur und Tourismus, TRT (Türkisches Radio und Fernsehen) und RTÜK (Oberster Rundfunk- und Fernsehrat). Folgende Fragen leiten dabei das Projekt: Erstens, welchen Ansatz verfolgt die AKP bei der Überwachung von Musikkonsum und -verbreitung, und welchem Wandel unterlag die Kulturpolitik mit Hinblick auf Musik während der 20-jährigen Regierungszeit der AKP? Gibt es darüber hinaus einen Unterschied zwischen politischen Vorhaben und ihren Umsetzungen? Und schließlich, wie könnte Kulturpolitik Einblicke darüber geben, wie die AKP ihre Macht aufgebaut und erhalten hat? Mit Blick auf die aktuellen globalen populistischen Strömungen möchte ich allgemein eine Grundlage für komparative Studien bieten, die zeigen, wie populistische Politiker ihr kulturelles Kapital nutzen, um die für den Populismus charakteristische Vorstellung des Gegensatzes zwischen Volk und Elite durchzusetzen